Judith Trachtenberg by Karl Emil Franzos

Judith Trachtenberg by Karl Emil Franzos

Autor:Karl Emil Franzos
Format: epub
Tags: Roman
Herausgeber: Ullstein Verlag


Achtes Kapitel

Auf den weißglänzenden, beschneiten Kuppen des Monte Baldo glühte und schimmerte das Morgenrot, und aus dem Bergtal der Sarka kam der Wind geflogen, der kalte Nordwind, und fegte den See von Nebeln rein und den Himmel von Wolken. Nur noch an den Bergspitzen flatterten die grauen, trübseligen Schleier dahin, wie Trauerflaggen, oder sie bargen sich scheu in einer Schlucht, dicht über der azurnen Flut. Aber auch da erreichte sie die Sonne, als sie endlich emporstieg über dem mächtigen »Altissimo di Nago«, der sich breit und ungeschlacht zwischen die beiden lachenden Landschaften des Etsch- und des Gardagaus schiebt. Das Morgenrot verblich, die Dünste verschwanden, und das goldige Licht spann sich voll und gütig über die Landschaft, über das tiefe Blau des Himmels und der Wasser, über die mattgrünen Wiesen und die grauen oder rötlichen oder violetten Felsen mit denen weißen Schneekäppchen und über die engen, winkeligen Gäßchen von Riva, welches sie die »Regina del Garda« nennen, die alte, häßliche Herrscherin eines ewig jungen und schönen Reiches.

Auf dem Balkon des alten, wohlerhaltenen Palazzino, welcher dicht vor Porta San Michele mit seinem schlanken Gemäuer mitten aus dem dichten Grün eines wohlgepflegten Gartens emporsteigt, stand der junge Graf und blickte über das Häusergewirr zu seinen Füßen auf die blaue, fast endlos ausgegossene Flut und das gesegnete Anland mit den weiß schimmernden Hütten. Es war der erste schöne Morgen nach endlosen Regentagen – wie hatte er nach der Sonne geschmachtet und gewähnt, wenn sie nur erst da sei, dann müsse es ihm auch in Herz und Hirn lichter werden. Diese Schatten scheuchte keine Sonne. Er war ein Tor gewesen, wie an jenem Tag vor zwei Monaten, dem leuchtenden Septembertag, da er zuerst dieses Haus betreten und sich gesagt: es sei ja so schön hier, so still und friedlich; hier müsse alle Wirrnis sich klären, alle Unruhe sich sänftigen. Für sein zermartertes Gemüt gab es keine Friedensstätte mehr auf Erden. Und ein Wahn auch war es gewesen, als er vor einigen Wochen, da ihm die Wehmutter den neugeborenen Knaben in die Arme gelegt, zum Himmel emporgestammelt: »Dank dir, Barmherziger, Dank für den Engel, der mich erretten und emporführen soll!« Es war ein schönes, heiteres Kind, mit dem hellen Haar der Mutter, den dunklen Augen des Vaters, und die Amme versicherte, es lache schon, wenn es den Signor Conte sehe – ihm aber war's, als blickten ihn diese dunklen Augen drohend an, als stieße ihn diese kleine Hand noch tiefer in Schuld und Wirrnis hinein.

Es war anders gekommen, als er gedacht, ehe er in die unselige, häßliche Komödie gewilligt in jener Nacht auf dem Jagdschloß, da er fiebernd am Bett der Kranken gesessen oder in seiner Schlafstube auf und nieder gewandelt. Damals hatte er auf dem Wege, den ihm der Versucher wies, nur ein Schreckbild erblickt: die Entdeckung des Betruges, die Schmach vor der Welt. Wie sich das Zusammenleben mit der Geliebten gestalten sollte, nachdem er ihrer Seele auf diese Weise »künstlichen Schlaf« gebracht, und wie einst das Erwachen sein würde, dahin schweiften seine Gedanken kaum.



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